Sei gut zu dir selbst (und: Seid nett zueinander)

Epigenetik ist, wenn auch die Kinder von unseren Erfahrungen lernen.

Wenn Erwachsene über Kinder reden, hört man sie manchmal scherzhaft sagen: “Da kann mein Kind nichts dafür, das liegt in den Genen.”
Was aber liegt wirklich in den Genen? Sind wir einfach nur, was die Gene “sagen”?
Die Geburt eines Babys setzt den Anfang eines neuen Lebens - doch stopp: das Leben des Babys beginnt schon viel früher. Mit der Befruchtung, wenn die mütterliche und die väterliche Keimzelle verschmelzen? Eigentlich noch viel früher. Es beginnt schon mit der Geschlechtsreife der Mutter und des Vaters. Und heutzutage weiß man, dass es eigentlich noch früher beginnt: schon bei den Großeltern und ihren Vorfahren. Nun gut, es ist nicht das Leben des Babys, das da beginnt, aber die Einflüsse, denen unsere Großeltern ausgesetzt waren, können zum Teil heute noch in den Enkeln nachwirken. Das passiert über die Epigenetik. Heute weiß man, dass wir nicht nur unsere Gene an unsere Kinder weitergeben, sondern zum Teil auch die Anleitung, wie selbige zu nutzen sind – das Epigenom.

So ist nachgewiesen, dass:

  • Erfahrungen, die unsere Großeltern gemacht haben, heute noch auf uns nachwirken können (=transgenerationelle Vererbung)
  • Unser eigener Lebensstil schon vor der Zeugung einen Einfluss auf die Gesundheit unserer Kinder haben kann (=präkonzeptionelle Gesundheit)
  • Besonders in der Schwangerschaft und den sensiblen Jahren nach der Geburt eine gesunde Lebensweise, viel Liebe und Geduld sich positiv auf die Entwicklung und lebenslange Gesundheit unserer Kinder auswirken (=perinatale Prägung)

Gesundheit beginnt schon vor der Zeugung

Epigenetik ist, wenn Gesundheit schon vor der Zeugung beginnt.

Präkonzeptionelle Gesundheit:
Die Pubertät setzt ein und das Leben verändert sich - das der Pubertierenden und das der Eltern ebenso. Die Hormone stehen Kopf und sorgen für eine Vielzahl wunderlicher Verhaltensweisen. Damit vermelden auch die Eizellen und Samenzellen ihre Existenz in den Körpern der Mädchen und Jungen.
Doch Stopp! Die waren vorher auch schon da - und haben alle Einflüsse der Kindheit mitbekommen.
Inzwischen weiß man, dass auch die Lebensweise der Kinder vor der Pubertät einen prägenden Einfluss auf das Erbgut der schlummernden Eizelle und Samenzelle hat. Das Epigenom - die vielen Schalter, die die Nutzung des Erbgutes bestimmen - registrieren, was passiert und werden dadurch beeinflusst. Das gleiche gilt natürlich für Jugendliche und Erwachsene.
Deshalb sollten wir darauf achten, dass besonders Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen in einer gesunden Umwelt, mit gesunder Ernährung aufwachsen und wir sie fern halten von Alkohol, Zigaretten und anderen Giftstoffen. Das hat dann sogar einen positiven Einfluss auf unsere Enkel!

Epigenetik
Bild: Alena Grap

Denn du bist, was deine Mutter isst

Epigenetik ist, wenn Kinder schon im Mutterleib beeinflusst werden.


Gelbe Agouti-Mäuse sind nicht zu beneiden: Sie haben ein Gen (Agouti-Gen), das ihr Fell blassgelb statt dunkelbraun färbt, das Sättigungszentrum hemmt und sie anfälliger für Krebs und Diabetes macht. In der Folge werden sie dick und krankheitsanfällig.
Man sollte meinen, gelbe Agouti-Mäuse bekämen auch gelbe Agouti-Kinder mit dem gleichen Schicksal. Müssen sie aber nicht!
In einer wissenschaftlichen Studie wurden diese gelben Mütter auf eine besondere Diät gesetzt. Sie bekamen Spezialfutter mit besonders vielen Nährstoffen, unter anderem Folsäure, Vitamin B12 und Cholin.
Der Überraschungseffekt: ihre Nachkommen hatten zum großen Teil dunkles Fell, waren schlank und blieben gesund.
Die Mütter mit einer Diät, die diese Nährstoffe nicht enthielt bzw. diese sogar noch unterdrückten, bekamen weiterhin wieder gelbe, kranke Kinder.
Was war passiert? Die Nährstoffe im Spezialfutter wirkten auf die Nutzung des Erbgutes und schalteten das krankmachende Gen einfach ab. Bei der anderen Diät war das nicht der Fall.
Die Mutter ist eben nicht nur ein Inkubator, in dem das Baby wächst. Das Baby wird von ihr mit Nährstoffen versorgt, interagiert bereits hier mit seiner Umwelt und lernt. Eigenschaften, bei denen Sie denken könnte “das ist halt so, die sind in den Genen”, sind oft eben nicht über das Erbgut direkt weitergegeben, sondern dadurch, dass die Mutter dem Baby im Mutterleib beibringt, wie es sein Erbgut zu nutzen hat.
Es sich in der Schwangerschaft besonders gut gehen zu lassen und gesund zu leben, ist deshalb wichtig für das Wohlergehen des Kindes. Man muss ja nicht immer gleich Mozart hören.

Epigenetik
Bild: Randy Jirtle and Dana Dolinoy

Nur die Liebe zählt

Epigenetik ist, wenn Liebe Kinder stark macht.

Wenn Ratten ihre Kinder nicht lecken (Perinatale Prägung)
Ratten sind soziale Wesen, und die Mütter kümmern sich liebevoll um ihren Nachwuchs - normalerweise zumindest. Dabei haben der kanadische Hirnforscher und Verhaltensbiologe Michael Meaney und der Epigenetiker Moshe Szyf Erstaunliches entdeckt:
Der Nachwuchs von Rattenmüttern, die ihre Kinder in den ersten acht Lebenstagen fleißig umsorgten und sie mit Rattenliebe überhäuften (messbar daran, wie oft sie sie abschleckten), wurde mutig, kuschelbereit, freundlich und lernfähig.
Der Nachwuchs von ängstlichen Müttern wurde in den ersten acht Lebenstagen deutlich weniger umsorgt - und war am Ende eher ängstlich, reizbar, ungesellig und hypernervös.
Dabei spielte es keine Rolle, ob die Mütter eigenen oder fremden Nachwuchs umsorgten.
Die Studie zeigte, dass es eben nicht “die Gene” waren, sondern die Intensität der mütterlichen Fürsorge, die zu deutlichen Charakterunterschiede bei den Rattenkindern führte.
Ursache dieser Unterschiede sind die epigenetischen Muster in den Hirnzellen des Nachwuchses. Durch soziale Interaktionen werden Stresshormone ausgeschüttet oder eben nicht, und das beeinflusst die epigenetischen Schalter am Erbgut in den Hirnzellen, die wiederum die “Nutzung des Erbgutes” in den Zellen bestimmen.
Dabei sind die Charakterunterschiede bei Rattenkindern völlig wertfrei zu betrachten - schlussendlich ist es ein Mechanismus, mit dem die Mutter ihre Kinder schon im Mutterleib auf ihren Lebensraum vorbereitet.
Nicht alle solcher Ergebnisse kann man nicht direkt und 100%ig auf den Menschen übertragen, weil die untersuchten Vorgänge viel zu komplex sind. Dennoch sollten wir uns bewusst darüber sein, dass auch unsere Kinder durch Liebe, Geduld, Vorlesen, Zeit nehmen und ein reichhaltiges kreatives Angebot besonders gute Voraussetzungen bekommen, um zu starken, liebevollen und freundlichen Menschen zu gedeihen.

Epigenetik
Foto: Joe Blossom Alamy, Stock-Foto

Der niederländische Hungerwinter

Epigenetik ist, wenn sogar die Enkel noch von unseren Erfahrungen lernen.

Transgenerationelle Vererbung:
1944: Das Ende des Zweiten Weltkrieges nahte, und für viele begann eine besonders schlimme Zeit. In den Niederlanden schnitten die Besatzer sämtliche Versorgungswege ab. In diesem harten Winter starben allein 20.000 Menschen an Unterversorgung, viele waren dem Hungertod nahe.
Forscherteams untersuchen heutzutage die langfristigen Folgen dieser Zeit und stellten Erstaunliches fest: Waren Mütter in dieser Zeit schwanger, so hatten ihre Kinder nicht nur ein auffällig geringes Geburtsgewicht. Ihre inzwischen erwachsenen Kinder leiden heute vermehrt an Suchterkrankungen, bekamen überdurchschnittlich früh Alterserkrankungen (Herz-Kreislauf und Diabetes), blieben verhältnismäßig klein und hatten eine deutlich geringere Lebenserwartung.
Doch damit nicht genug: Auch die Kinder dieser Kinder waren überdurchschnittlich klein, obwohl sie bereits in Zeiten des Überflusses auf die Welt kamen.
Wie kann das sein?
Eigentlich geht man davon aus, dass das komplette Epigenom vor der Befruchtung gelöscht wird. In der Wissenschaft häufen sich jedoch die Hinweise, dass die epigenetischen Schalter, die die Nutzung des Erbgutes bestimmen, auch generationsübergreifend wirken.
Auch wenn noch nicht alle Mechanismen bis ins Detail erforscht sind, kann man schon mit Sicherheit sagen:
Seien Sie gut zu sich selbst, denn selbst Ihre Enkel werden es Ihnen danken. Und sollten Sie bereits Großeltern sein: Unterstützen Sie Ihre Kinder und entlasten sie Sie vom stressigen Alltag, damit sie mit aller Kraft und liebevoll für ihre Kinder da sein können.

Epigenetik
Foto Wiki [Foto: Wiki https://nl.wikipedia.org/wiki/Hongerwinter#/media/Bestand:Twee_deelnemers_aan_de_hongertochten_tijdens_de_hongerwinter.jpg]

Epigenetik im Lichte der Evolution

Epigenetik ist, wenn Erlerntes auch in folgenden Generationen von Vorteil ist.

Der Begriff der Evolution beschreibt die Vorgänge, die das Leben auf der Erde von seinen frühesten Formen bis zu der heutigen Vielfalt geformt haben. Das beinhaltet die allmähliche Veränderung der Eigenschaften (Phänotyp) und des Erbgutes (Genotyp, Änderung der Basensequenz in der DNS) einer Population von Lebewesen. Dieser Prozess führt zur Weiterentwicklung bestehender Arten, sowie unter bestimmten Bedingungen zur Entstehung neuer Arten.
Faktisch wird Erbgut von Generation zu Generation weitergegeben. Dabei sind die langfristigen langsamen Änderungen an der Basensequenz des genetischen Codes (Mutationen) entscheidend für die Jahrmillionen währende Entwicklung von Arten. Besser angepasste Individuen überleben dabei und pflanzen sich erfolgreicher fort (Selektion).
Wie passt in diesen Prozess die Epigenetik hinein?
Epigenetik reguliert die Nutzung der Gene, ohne Änderung am genetischen Code (der Basensequenz). Bisher ist umstritten, inwieweit die Weitergabe des epigenetischen Codes - also die Nutzungsanleitung für die Gene - über sehr viele Generationen in der Evolutionsgeschichte eine direkte Rolle spielt.
Derzeit versteht man Epigenetik als eine Möglichkeit, sich an bestimmte Umweltbedingungen anzupassen. Ein Lebewesen, dem das gelingt und das besser mit seiner Umwelt zurechtkommt, kann mehr Nachkommen produzieren und sie möglicherweise auch besser aufziehen. Auch wenn der epigenetische Code selbst nicht in jedem Fall 1:1 weitergegeben wird, ist es also ein Vorteil, die richtigen epigenetischen Mechanismen zu nutzen. Epigenetik dient somit eher als kurzfristiges Hilfsmittel, mit deren Hilfe die besser an ihre Umwelt angepassten Individuen überleben und sich erfolgreich vermehren.

Epigenetik und Sport

Sport ist Mord – sagen manche, aber eigentlich ist es ganz anders. Sport ist eben kein Mord, denn mit Sport und Bewegung aktivieren Sie nicht nur den eigenen Energiestoffwechsel. Sport wirkt bis tief in die Zellen hinein.

Wissen erweitern